M. Prieto: Zwischen Apologie und Ablehnung.

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Titel
Zwischen Apologie und Ablehnung. Schweizer Spanien-Wahrnehmung vom späten Franco-Regime bis zur Demokratisierung (1969–1982)


Autor(en)
Prieto, Moisés
Reihe
Zürcher Beiträge zur Geschichtswissenschaft
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
490 S.
von
Patricia Hertel, Departement Geschichte, Universität Basel

Zwischen der Schweiz und der spanischen Franco-Diktatur gab es erhebliche Unterschiede, im politischen und wirtschaftlichen System ebenso wie in der gesellschaftlichen Grundordnung. Gleichzeitig sind zwischen den so unterschiedlichen Ländern durchaus Ähnlichkeiten zu sehen, etwa in einer ambivalenten Politik der Neutralität im Zweiten Weltkrieg, in einem vehementen Antikommunismus und in den Bemühungen, mit der Europäischen Gemeinschaft vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen zu unterhalten. Daher bietet das Verhältnis der Schweiz zum franquistischen Spanien reizvolle Fragestellungen für historische Analysen. Neben dem Überblickswerk von Sébastien Farré (2005) zu politischen und wirtschaftlichen Beziehungen während des Franquismus standen in den bisherigen Studien vor allem die bilateralen Kontakte in den Jahren des Bürgerkriegs, der Umgang mit den Schweizer «Spanienfreiwilligen» sowie die spanische Immigration in die Schweiz ab den 1960er Jahren im Vordergrund. Das Buch von Moisés Prieto, eine Zürcher Dissertation, widmet sich nun dem Spanienbild der Schweizer Presse vom späten Franquismus bis zum Übergang zur Demokratie.

Ziel der Studie ist es, «die mediale Wahrnehmung, die soziale Sensibilisierung und Thematisierung dieser Epoche der spanischen Geschichte in den Augen der Schweizer Öffentlichkeit» (S. 15) zu beleuchten. Wie in ähnlichen Untersuchungen zur ausländischen Haltung gegenüber dem Spanischen Bürgerkrieg oder dem Franco-Regime wird das Spannungsfeld zwischen dem «wahrgenommenen Spanien» und der «wahrnehmenden Schweizer Gesellschaft» (S. 20) als Sonde für die Analyse grundsätzlicher europäischer Interessen, Ambitionen und Konflikte in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft genutzt. Zentrale Quellenbasis sind Schweizer Zeitungen, Radiobeiträge und Fernsehsendungen, die der Autor mit einem medienhistorischen Zugriff erschliesst. Hinzu kommen Archivquellen, unter anderem aus dem Schweizerischen Sozialarchiv, dem Archiv für Zeitgeschichte und dem Bundesarchiv.

Der erste, kürzere Teil des Buchs «Kontakte und Engagements» stellt drei zentrale Felder für die Beziehungen zwischen beiden Ländern in den Vordergrund – Wirtschaft, Tourismus und spanische Einwanderung in die Schweiz –, die von einem «verbreiteten gegenseitigen Opportunismus» (S. 100) zeugen. Weiterhin werden Haltungen von ausgewählten Vertretern der Extreme des politischen Spektrums in der Schweiz untersucht: auf der einen Seite die bislang wenig beachtete Bewunderung von James Schwarzenbach für Spanien und Franco, auf der anderen Seite die bis 1976 erscheinenden antifranquistischen Bulletins und Artikel der Revolutionären Marxistischen Liga sowie das Schweizerische Komitee für politische Amnestie in Spanien, eine Menschenrechtsorganisation.

Der zweite Teil «Medien und mediale Wahrnehmung» bildet den Schwerpunkt der Studie. Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Wandlungsprozesses der europäischen Presse, der von zunehmender Medienkonzentration, kommerziellen Notwendigkeiten und politischen und gesellschaftlichen Konjunkturen der 1960er Jahre geprägt war, analysiert der Autor die Schweizer Berichterstattung über Spanien anhand ausgewählter Beispiele. Dies sind zum einen Ereignisse in den letzten Regierungsjahren Francos, wie unter anderem die Ernennung von König Juan Carlos zu Francos Nachfolger, die Hinrichtungen von Oppositionellen sowie der Tod des Diktators. Zum anderen interessieren Prieto Schlüsselmomente im Übergang zur Demokratie wie die Parlamentswahlen, die Annahme der neuen Verfassung, der Staatsbesuch des Königspaars in der Schweiz 1979, der Putschversuch 1981 und der Wahlsieg der Sozialisten 1982.

Zusammenfassend konstatiert der Autor ein hohes Interesse der Schweizer Presse an Spanien und bilanziert, dass sich das Spanienbild in der Schweiz zwischen einer «radikalen, unmissverständlichen und unnachgiebigen Ablehnung der Diktatur» in linken Kreisen einerseits und einer «feierlichen und unverblümten Apologie» (S. 414) in rechten Kreisen andererseits bewegte. Die Öffentlichkeit, wie sie in der medialen Berichterstattung zum Vorschein trat, habe als Opposition gegenüber einer «eigennützigen, wohlwollenden Spanien-Politik des Bundesrates» fungiert (S. 413). Mit der Spanienberichterstattung habe der Schweizer Journalismus eine «Selbstintegration in eine transnationale Öffentlichkeit durch die Teilnahme an einer kollektiven Identität (West‐)Europas» vollzogen, die «auf einem sozialdemokratischen, parlamentarischen Demokratie-Verständnis und der resoluten Ablehnung autoritärer Herrschaftsformen und der Massenmorde in jüngster Vergangenheit fusste» (S. 417 f.).

Prietos Studie bestätigt die Ergebnisse anderer Forschungen zur Spanienwahrnehmung westeuropäischer Länder und erweitert diese um die Schweizer Perspektive. Das Buch überzeugt durch eine umfangreiche Materialbasis und akribische Quellenarbeit. Dem formulierten Anliegen, durch die Analyse der Spanienwahrnehmung auch «ein Kapitel Schweizer Sozialgeschichte» (S. 431) zu schreiben, wäre die Studie allerdings durch eine dezidiertere konzeptionelle Ausrichtung nähergekommen: beispielsweise durch eine Schärfung und Ergänzung der qualitativen Medienanalyse im zweiten Teil durch quantitative Verfahren oder – alternativ – durch eine klarere Ausrichtung auf die im ersten Teil diskutierten Akteure, Kontakte und Beziehungen und eine entsprechend heterogenere Quellenbasis jenseits der Presseerzeugnisse. Dies hätte womöglich eine zugespitztere zentrale These respektive noch weitergehende Schlussfolgerungen erlaubt. Insgesamt bietet die Untersuchung jedoch aufgrund ihrer aufschlussreichen empirischen Befunde und der zahlreichen Einblicke, die sie zu diesem immer noch wenig erforschten Thema liefert, ein informatives und hilfreiches Referenzwerk.

Zitierweise:
Patricia Hertel: Moisés Prieto: Zwischen Apologie und Ablehnung. Schweizer Spanien-Wahrnehmung vom späten Franco-Regime bis zur Demokratisierung (1969–1982), Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2015. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 2, 2019, S. 356-358.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 2, 2019, S. 356-358.

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